Die Liebespuppe: Gedanken zu Rechtslage und Zeitgeist. Stellungnahme eines Kunden zum frisch verabschiedeten §184l aus philosophischer Sicht.
Abstract
Vorab möchte ich meine Kritik an dem §184 aus philosophischer Perspektive einmal thesenhaft anführen.
I.
Das Gesetz stellt einen normativ kritikwürdigen Rückschritt hinter den durch die europäische Aufklärung erarbeiteten Rechts- und Strafrechtsfortschritt dar. Es ist von daher als in der Tendenz gegenaufklärerisch zu bewerten.
II.
In der Art, wie die zu verbietenden Dolls thematisiert werden, zeigt sich eine dauerempörte moralisch-ästhetische Befindlichkeit, die das, was sich nicht kennt, nicht anerkennen kann und will. Sie und das sie prägende Gesetz tragen damit zur tendenziell antidemokratischen Verengung der Debatten- und Lebensräume bei, die heute allerorten im Namen des Guten und per se Gerechtfertigten vorgenommen werden.
III.
Die Regelungsintention des Gesetzes ist von einem in der Tendenz paranoiden Sicherheitswahn getragen, der die irreduzible Unwägbarkeit menschlicher Lebensvollzüge weg zu regulieren beansprucht. Die Leistungsfähigkeit der Institution des Rechts selbst wird überfordert.
IV.
In der Positionierung des Doll Besitzers zeigt sich eine latent männerfeindliche und Männer per se misstrauende Haltung, die in der Konsequenz des gynozentrisch ausgerichteten Zeitgeistes liegt. Wo aber der eine Part in der Gleichstellung und Gleichberechtigung in seiner Eigensinnigkeit negiert wird, wird Gleichstellung/-berechtigung insgesamt zur selbstwidersprüchlichen Farce.
Die Liebespuppe: Gedanken zu Rechtslage und Zeitgeist
I.
Wie bereits vielen Besitzern und Besitzerinnen von lebensechten Liebespuppen bekannt sein dürfte, tritt am 1.7. dieses Jahrs ein novelliertes Strafrecht zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen in Kraft.
Insbesondere §184l STGB-E dürfte aus Sicht der Puppenbesitzer:innen interessant sein. Der fragliche Passus lautet im Originaltext wie folgt:
„Denn diese Nachbildungen, in der Regel Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild, können die sexuelle Ausbeutung von Kindern mittelbar fördern. Es besteht die Gefahr, dass ihre Nutzung die Hemmschwelle zu sexualisierten Gewalt gegen Kinder absenkt. Durch die Nutzung solcher Objekte kann der Wunsch geweckt bzw. verstärkt werden, die an dem Objekt eingeübten sexuellen Handlungen in der Realität an einem Kind vorzunehmen.“
Aus dieser Festsetzung wird das Verbot abgeleitet, diese Puppen zu besitzen, zu vertreiben oder leihweise zur Nutzung freizugeben. Aufgrund der Art, wie in diesem Gesetzestext umstandslos vom Besitz einer künstlichen Lebensbegleiterin auf das Verhalten ihrer Nutzer und Nutzerinnen geschlossen wird, verwundert es doch, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Doll Händler und Doll Besitzer nicht nur die Verabschiedung dieser Gesetzesnovelle schweigend in Kauf nimmt, sondern ausdrücklich eine öffentliche Diskussion dieses Gesetzes und seiner Folgen in den Foren der Puppennutzer untersagt.
So lässt zum Beispiel einer der größten Anbieter für Sextoys und Liebespuppen in Deutschland durch die Administration seines Forums verkünden, dass die Diskussion dieses Gesetzes, da es nun einmal beschlossen wurde, nicht erwünscht ist, um die Community der Puppenbesitzer nicht in schlechtem Licht erscheinen zu lassen.
Diese passive, durch reines Wegducken sich zeigende Haltung erscheint nicht zuletzt deshalb problematisch, weil die in diesem Gesetzestext angelegte Einstellung einer Zeitgeistdynamik entspricht, von der anzunehmen ist, dass sie sich in der Verabschiedung dieses Gesetzes noch lange nicht erfüllt: Jeder diffus und allgemein als befremdlich erfahrene Umgang mit der eigenen Sexualität könnte als unerwünscht wegpönalisiert werden.
Die Community der Puppenbesitzer steht auch unabhängig von etwaigen Gesetzgebungen ‘in einem schlechten Licht‘ da. Der erotisch konnotierte Umgang mit lebensechten Liebespuppen fungiert, da ungewohnt und auf den ersten Blick irritierend, als Projektionsfläche uneingestandener Sexualängste. Fast jeder Doll-Freund wird dies aus eigener Erfahrung nachvollziehen können.
Da diese diffusen Vorverurteilungen nunmehr Eingang ins Strafrecht zu finden scheinen, ist davon auszugehen, dass eine Dynamik umfassender kriminalisierender Vorverdächtigungen gegen die Doll-Fans und ihre Puppen kodifiziert und von den entsprechenden Behörden exekutiert werden dürfte.
Daher gilt es, sich als Doll-Besitzer über das schlechte Licht, in dem man durch sein Hobby sowieso immer schon steht, hinwegzusetzen und aktiv für seinen Anspruch, sein Hobby auszuleben, einzutreten. Ein passives Hinnehmen immer neuer, erwartbarer Einschränkungen des höchstpersönlichen Lebensbereiches vieler, völlig unauffällig lebender Menschen, ist nicht zu akzeptieren. Wir Doll-Besitzer müssen uns organisieren und aktiv für den Schutz unserer Privatsphäre eintreten.
Zu diesem Zweck ist aber zunächst einmal deutlich zu machen, dass schlussendlich kein Besitzer einer lebensechten Liebespuppe sich auf Dauer in Sicherheit wiegen kann, nicht kriminalisiert zu werden, unabhängig davon, ob er nun eine Doll ‚mit kindlichem Erscheinungsbild‘ besitzt oder nicht.
Dies scheint der überwiegenden Mehrzahl der Puppenfans und ihrer Händler noch nicht ausreichend bewusst zu sein. Daher soll über die problematischen Implikationen des o.g. Gesetzes, und der sich in ihm geltend machenden Bewusstseinslage zunächst aufgeklärt werden.
Zu diesem Zweck möchte ich in einem ersten Schritt eine allgemeine Bemerkung zum Verhältnis von Recht und Moral voran schicken, um anschließend deutlich zu machen, dass und inwiefern diese Beziehung vom gegenwärtigen Zeitgeist unterlaufen bzw. aufgeweicht wird.
In einem zweiten Schritt geht es darum, aus dieser Perspektive das angesprochene Gesetz und, wie zu zeigen sein wird, seine Verschärfung durch den § 176e StGB auszulegen, und in seinen möglichen und zu befürchtenden Konsequenzen für Besitzer von Real Dolls darzustellen.
II.
In seiner 1795 erschienenen Schrift zum ewigen Frieden führt Kant aus:
„Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar und lautet so: „Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze zu ihrer Erhaltung verlangen, deren jedes aber insgeheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, dass, obgleich sie in ihrer Privatgesinnung einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, das in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnungen hätten.“[1]
Folgende Aspekte dieser komplexen Gedankenführung sind hervorzuheben, wenn man das Verhältnis von Rechtssetzung und Moral im allgemeinen Umriss verstehen will. Kant setzt hier voraus, dass die Aufgabe des Staates primär darin besteht, den Frieden nach innen, in Bezug auf die Gesamtheit seiner Bürger zu sichern. Dazu bedarf es ‚allgemeiner Gesetze‘, die die Einzelnen in ihrem Tun und Lassen so aufeinander abstimmen, dass jeder im Staatsverein mit anderen sich selbst zu erhalten imstande ist: Selbsterhaltung zu gewährleisten ist die oberste Direktive der Politik.
Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass der einzelne Mensch sich einer ihn überwältigenden Natur ausgesetzt sieht, deren Mächte er nur in Vereinigung mit anderen, in einer sie übergreifenden Organisationsform, erfolgreich begegnen kann: Der Staat ist aus der Not der vielen Einzelnen geboren, sich ihr eigenes Überleben unter Voraussetzung knapper Lebensgüter in Konkurrenz mit den Anderen sichern zu müssen. Nur deshalb kann der Staat den Einzelnen abverlangen, allgemeine Gesetze ‚zu ihrer Erhaltung‘ einzurichten und in Geltung durch Sanktionen zu halten.
Daher geht das Recht auch stets „mit der Befugnis zu zwingen“ einher.[2] Eine ‚Strafe‘ im weiten Sinne, also eine durch äußere Gewalt sich zeigende Beschränkung des Einzelnen in seiner Macht zu tun und zu unterlassen, ist dem Recht daher von Hause aus zu eigen. Recht und Zwang gehören unauflöslich zueinander. Nur durch die Zwangsgewalt kann Einstimmigkeit im Verhalten aller Rechtssubjekte hergestellt werden, damit jeder sein Leben innerhalb der Staatsgemeinschaft sicher fristen kann.
Indem dem Staat die Hauptaufgabe den Frieden zu sichern zugeschrieben wird, wird die Idee, er sei als eine allgemeinen Gesinnungs- und Tugenderziehanstalt zu verstehen, zurückgewiesen. Indem er allein der individuellen Selbsterhaltung aller dient, beschränkt er sich in seiner Zwangsgewalt gegenüber seinen Mitgliedern selbst. Er nimmt sich ihnen gegenüber zurück und gibt damit gleichursprünglich den Einzelnen in seinem Sein als Bürger des Staates frei.
Indem der Staat sich dem Einzelnen gegenüber zurücknimmt, wird diesem eine ‚Privatgesinnung‘ eingeräumt und zugewiesen. Unter der Privatgesinnung versteht man die Gesinnung, die dem Staat und seiner Gesetzgebung gegenüber abgelöst, eben ‚privat‘, ist. Der Einzelne wird also nicht völlig durch seine Position im Staat bestimmt. Im Rechtsraum des Staates gibt es eine Stätte, auf der der Einzelne seinem Eigensinn folgen darf. Dieser Freiraum bleibt dem staatlichen Zugriff entzogen und bewahrt den Einzelnen vor der Regelungsmacht der öffentlichen Gewalt.
Folglich ist allein das ‚öffentlich‘ zeigbare Verhalten der Bereich, auf den sich das Recht in seiner Befugnis zu zwingen beziehen kann. Das öffentliche Verhalten ist das Tun und Lassen, das vor aller Augen, auf dem Markt und in den Gassen von Jedermann und Jederfrau offen gezeigt wird. Daher sagt Kant denn auch folgerichtig, dass der Begriff des Rechts „nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (mittelbar oder unmittelbar) Einfluss haben können“, betrifft.[3] Das Recht kann also nur interpersonal, also in Bezug auf faktisch gezeigtes Verhalten von Personen untereinander in seiner Geltungs- und also Sanktionierungsmacht realisiert werden.
Diesen interrelationalen Bezug in seiner Beschränkung auf öffentlich Sichtbares hat jede Gesetzgebung aufgrund des Wesens des Rechts zu beachten. Die sittliche Substanz des Einzelnen, seine ‚Gesinnung‘, bleibt ausdrücklich ausgeschlossen aus dem Geltungsbereich des Rechts. Auch ein ‚Volk von Teufeln‘, wie Kant so markant hervorhebt, muss, sofern „es nur Verstand hat“, dem rationalen Überlebenskalkül, die sich im modernen Staat und der durch ihn erwirkten Rechtsprechung bekundet, Folge leisten.
In der Rechts- und Staatsphilosophie Kants zeigt sich ein Höhenzug der europäischen Aufklärung, der institutionsgeschichtliche Standards gesetzt hat. Diese dürfen nicht unterboten werden, wenn man nicht hinter die z.T. blutig erkämpften Rechtsfortschritte der europäischen Staatengemeinschaft zurückfallen möchte. Das, was der Einzelne im Forum Internum seines stillen Kämmerleins mit sich und seinen Gebrauchsgütern macht, geht den Staat und seine Institutionen nichts an. Es betrifft weder das Verhältnis von Personen untereinander, noch wird es an öffentlichen Orten zum Ärgernis der Allgemeinheit praktiziert.
III.
Warum nun aber dieser ganze philosophische Exkurs? Was haben Kant und das Verbot von ‚kindlich erscheinenden‘ Liebespuppen überhaupt miteinander zu tun?
Diese Frage lässt sich klären, wenn man einen Blick auf die heutige Medienlandschaft wirft:
Schaut man von dieser Erinnerung an die durch den europäischen Aufklärungsprozess erarbeiteten Differenzierungen der Institution des Rechts aus auf die im heutigen Zeitgeist gezeigte Gesinnung, dann muss von einer in der Tendenz auf Aufhebung der o.g. Differenzierungen zielenden Dynamik ausgegangen werden.
Ziel scheint es heuer nicht mehr zu sein, ein in sich stimmiges Verhalten aller Staatsbürger zwecks Sicherung des Staates als Garant der Friedenssicherung durch die Geltendmachung des Rechts zu erwirken. Vielmehr macht sich ein insgesamt jakobinisch anmutender Tugendfuror bemerkbar, dessen Ziel es zu sein scheint, den genderkonformen, politisch korrekten ‚neuen‘ Menschen zu erschaffen und, durch Exekutierung von Sanktionen, herbei zu erziehen.
Kants Unterscheidung zwischen dem ‚äußeren‘, Verhalten des Menschen und seiner ‚inneren‘ Gesinnung ist nicht zuletzt auch durch die außer Kontrolle geratene französische Revolution motiviert. Die Intellektuellen im damaligen Deutschland waren entsetzt über den Verlauf, den diese Revolution schlussendlich genommen hatte.
Sie begann als Umgestaltung der staatlichen Einrichtung im Namen der Freiheit und endete im tugendgeleiteten exekutieren der Einzelnen, ohne dass diese „mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhauptes oder ein Schluck Wasser“ hatten.[4] Wenn staatliche Einrichtungen aus dem Zweck heraus gebildet werden, den aus der Sicht ihrer Vertreter ‚besser gesinnten Menschen‘ heranzubilden, dann ist die Legitimierung des politisch motivierten Mordes um Willen des hypostasierten allgemeinen Wohles nur noch eine Frage der Zeit: „Wer aber wird sich in diesem von Wundermaschinen brummenden Jerusalem noch an den Schrei der Umgebrachten erinnern?“[5]
Kants Unterscheidung zwischen dem ‚inneren‘ Menschen mit seinen privaten Gesinnungen und der äußerlich im Verhalten sich zeigenden ‚Persona‘ im öffentlich geteilten Raum des Sozialen ist nicht zuletzt ein Zeichen der Humanität und der Humanisierung: Sie erlaubt es dem Einzelnen, auch im Staat, er selbst sein und bleiben zu dürfen. Sein Begriff des Rechts ist auch ein Ausdruck der Humanisierung und um Willen des Einzelnen erfolgten Einhegung des Rechts in seiner ‚Befugnis zu zwingen‘.
Das Individuum wird also nicht durch seine Stellung im Staat im Ganzen bestimmt und definiert. Vielmehr hat sich jeder um Willen des Erhalts des Ganzen erfolgende Eingriff des Staates in den Freiheitsbereich des Einzelnen vor diesem zu rechtfertigen. Die Rechtmäßigkeit des Rechts ist nicht aus diesem und seinen Setzungen allein herzuleiten, sondern bedarf der Klärung der weitergehenden Fragen: Was ist Gerechtigkeit? Wie wollen bzw. sollen wir leben?
Nun haben die Guillotinen heutzutage zum Glück ausgedient. Keiner, der sich dem Gendern oder der eilfertigen Bekundung verweigert, für Political Correctness aktiv einzutreten, muss befürchten, seinen Kopf zu verlieren. Jedoch zeigen sich heute Tendenzen, die das Erstarken des ‚Gesetzes des Herzens und des Wahnsinns des Eigendünkels‘, um noch einmal Hegel zu zitieren, zunehmend medienwirksam im öffentlichen Raum anzeigen.
Eine einmal gemachte missverständliche Bemerkung, wie neulich vom Fußballspieler Aogo in einem Interview auf Skype gezeigt, können den Sprechenden nunmehr den Beruf kosten. Ironischerweise ist es eben Aogo, ein Angehöriger einer vor diskriminierendem Verhalten zu schützenden Minderheit, der diesem Verdikt verfiel. Zunehmend scheint sich der entfesselte jakobinische Tugendfuror unserer Gesellschaft auch gegen die zu richten, die den zu schützenden Minderheiten selbst angehören, wenn sie gegen die Regeln dieses Zeitgeistspiels verstoßen. Niemand kann mehr davon ausgehen, nicht von den losgelassenen Furien des ‚reinen‘ Herzens einer vor sich selbst immer schon gerechtfertigten Political Correctness früher oder später zur Strecke gebracht zu werden. Zwar stirbt man heutzutage nicht mehr den leiblichen Tod wie 1794, aber den sozialen Tod zu sterben kann jeden jederzeit ereilen, wenn die heute bereits absehbaren Tendenzen an Stärke weiter zunehmen.
Wer sich darüber weitergehend informieren will, sei auf die ZDF-Dokumentation ‚Schweig, alter weißer Mann – wie die Identitätspolitik die Gesellschaft spaltet‘ verwiesen, die auf YouTube abrufbar ist.
Es musste nur eine Frage der Zeit sein, bis sich dieser eigentümlich moralisierende und auf die vorab von ihm festgelegte ‚richtige‘ Gesinnung zielende Furor auch auf den Bereich der gelebten Sexualität ausdehnt, ja gerade darin das wie für ihn bestimmt scheinende Tätigkeitfeld entdeckt. Denn Sexualität im Allgemeinen ist grenzüberschreitend, anarchisch und lustvoll auf das Brechen von gesellschaftlichen Tabus ausgerichtet.
Ja folgt man bereits Freuds kulturanthropologischen Untersuchungen, dann verdankt sich das Tabu vor allem anderen der Disziplinierung und Einhegung der grenzüberschreitenden Energetik des Sexuellen. [6] Der Antagonismus zwischen der auf Disziplinierung dringenden gesellschaftlichen Ordnung und der Anarchie des Libidinösen erzeugt eben jenes ‚Unbehagen in der Kultur‘, das Freud vor mehr als hundert Jahren schon diagnostizierte.
Daher ist es folgerichtig, weil der psychischen Faktenlage entsprechend, wenn Nicola Döring festhält: „Gleichzeitig muss man wohl anerkennen, dass Sexprodukte, die im Sinne des Lusterlebens funktionieren sollen, nicht (oder nur sehr begrenzt) auf Realismus und ethische Vorbildlichkeit setzen können“. Da die Faktizität des Menschlichen aber nun einmal so ist, „sind wir kulturell mit der Aufgabe konfrontiert, die damit einhergehenden Irritationen auszuhalten und zu integrieren“.[7] In dieser Toleranz und Integrationsfähigkeit zeigt sich, dass und in welchem Ausmaß unsere Gesellschaft kulturfähig ist und zu bleiben vermag.
‚Kultur‘, so kann festgehalten werden, besteht in der Kompetenz von Gesellschaften und ihren Mitgliedern, Alterität zuzulassen und (stets aufbrechbare) anarchische Dynamiken aufzufangen und zu integrieren.
Diese Toleranz und Integrationsbereitschaft aber ist unsere Gesellschaft augenscheinlich immer weniger zu erbringen bereit. Es deutet sich darin ein nicht zu verleugnendes Nachlassen der kultürlichen und kulturbildenden Kräfte unserer Gesellschaft an. Wo dies aber geschieht, ist die Herrschaft der Barbarei nicht mehr weit.
Ein Ausdruck dieser bedenklichen Zeitgeisterscheinung ist eben jener Passus in der Gesetzesnovelle, der sich gegen die Love Doll ‚mit kindlichem Erscheinungsbild‘ richtet. In diesem Gesetz zeigt sich, dass etwas aus der Balance von Disziplinierung und Lusterfüllung in unserer Gesellschaft zu geraten droht. Sie ist Symptom für eine wesentlich tiefere und umfassendere Dynamik im derzeitigen sozialen Leben.
Dies gilt es nun, aus dem Gesetzestext abzuleiten.
Zwei Merkmale dieses Textes fallen einem hierbei ins Auge: Zum einen ist auf die Wendung hinzuweisen, in der von Sexpuppen ‚mit kindlichem Erscheinungsbilde‘ gesprochen wird. Es handelt sich wohlgemerkt nicht um Kindersexpuppen, sondern um Dolls ‚mit kindlichem Erscheinungsbild‘.
Damit wird von vornherein die Bezugsmenge der Dolls, die als gefährlich einstufbar anmuten, erheblich vergrößert, sodass die Gruppe der expliziten Kindersexpuppen, der sog. Child Sex Dolls, nur wie eine vergleichsweise überschaubare Untermenge anmuten. Gleichzeitig wird das Kriterium der Kindlichkeit, abgesehen von der Tatsache, dass hierüber sowieso keine klar ausziehbaren Grenzbestimmungen möglich sein dürften, derartig semantisch aufgeweicht, dass es im Einzelfall sehr schwer zu bestimmen sein dürfte, welche Doll nun aus welchen Gründen als ‚kindlich erscheinend‘ einzustufen ist. Es ist gerade misslich und für jeden Freund dieser Puppen fatal, dass von ihrer ganzen Konstruktion her das Zierliche und fein figurierte in ihrem Körperaufbau betont wird. Nicht zuletzt diese Eigentümlichkeit dürfte es sein, die viele Puppenfreunde an ihren Lieblingen fasziniert und ihre Beschützer- und Fürsorgebedürfnisse weckt. Und eben diese konstruktionsbedingten Eigentümlichkeiten sind es, die im Verdacht stehen, in falscher Weise kindlich zu sein.
Sollte also ein an einer Doll Interessierter auf die Idee kommen, sich die, sagen wir mal, OR-Doll Carry bei der Doll‘s Lounge in Größe 156cm zu bestellen, weil ja eine solch große Doll ‚auf keine Weise‘ kindlich ist, könnte einen für ihn und sein weiteres Leben fatalen Fehler begehen. Denn die rundlichen und fein modellierten Gesichtszüge dieser Puppe könnten zur Mutmaßung verleiten, im Besitzer dieser Doll habe man einen sich zur pädophilen Tat vorbereitenden Puppenliebhaber vor sich, den es schnellstmöglich mitsamt seiner Doll aus dem Verkehr zu ziehen gilt. Auch die Liebhaber von A-Cup Größen dürften es in Zukunft schwer haben, Dolls zu finden, die aus der Sicht des Gesetzes und seiner Vertreter unverdächtig sind.
Nur nebenbei sei angemerkt, dass diese Perspektive nicht zuletzt auch durch die Haltung desjenigen mit bedingt wird, der diese Dolls zu beurteilen hat. Wie wird jemand, der sich sein ganzes Berufsleben damit beschäftigen muss, Kinderpornographie zu identifizieren und zu sichten, eine solche Doll anschauen? Es bedarf nicht viel Phantasie, um sich klar zu machen, dass jede Doll, die auch nur im entferntesten kindliche Züge haben könnte, sofort mit sexuell invasiven Verhalten der schlimmsten Art assoziiert werden dürfte. Die Leugnung ihres Besitzers, dass dies der Fall sei, verstärkt nur den Verdacht, da sei etwas faul. Denn warum ‚braucht der denn sonst so eine Puppe‘?
Jede Doll mit ‚kindlichem Erscheinungsbild‘ wird in der vorab auf Aufdeckung von Straftaten spezialisierten Sicht zur Kindersexpuppe und der Doll-Freund zum praktizierenden Päderasten.
Diese ganz normale und nur allzu verständliche Deformation wird von dem hier diskutierten Gesetz aber nicht verhindert. Im Gegenteil: Die Vertreter der Rechtsorgane, die es zu exekutieren haben, werden von dem Wortlaut dieses Gesetzes geradezu angehalten, jede Doll mit einem vorverurteilenden, präjudizierenden Blick anzuschauen. Das, was nicht kindlich an ihr ist, z.B. eine ausgiebige Körbchengröße, wird ausgeblendet, tritt in den Wahrnehmungshintergrund zurück, während alles, was im Entferntesten kindlich anmutet, unnatürlich für den Wahrnehmenden hervortreten dürfte und für ihn die Doll als Ganze ausmacht.
Die Doll als solche verliert ihren Status, unschuldig und harmlos zu sein, und wird von vornherein zu einem gefährlichen Hort böser psychischer Energie, deren Ursprung ihr Besitzer ist.
Dies ist jetzt aber nicht als eine bloß psychologische Spekulation abzutun. Vielmehr ist diese Vorverurteilung der Doll schon in der Art angelegt, wie von ihr im Gesetzestext die Rede ist. Zunächst ist es die Unklarheit in der Wendung vom ‚kindlichen Erscheinungsbild‘, die der angesprochenen Vorverurteilung Vorschub leistet. Denn jede Doll, wirklich jede, von 100cm bis 170 cm, wird etwas haben, was in irgendeiner Weise als ‚kindlich‘ angesehen werden kann.
Dann ist es, zweitens, der Aspekt des Kindlichen, der allein im Kontext sexuell invasiven Verhaltens vom Gesetz thematisiert wird, so als sei Kindlichkeit und Sexualität von Hause aus in Personalunion vereint. Eine Kinder Doll wird zur Kinder Sex Doll immer auch durch die Art, in der mit ihr umgegangen wird. Eben diese Differenzierung wird in der Weise, in der das Gesetz formuliert wird, von vornherein erst gar nicht zugelassen. Das Gesetz, so wie es formuliert ist, ist eine schon beinahe zur Paranoia erziehende Wahrnehmung der Verdächtigung, die sich über Gegenstände und Menschen legt, die in ihren Fokus geraten. Dass der Mensch im allgemeinen und der männliche Mensch im Besonderen eine Manifestation des Bösen und des Sündhaften ist, also etwas, das es von vornherein einzuhegen und zu bändigen gilt, ist eine anthropologische Implikation dieses Gesetzestextes, auf die ich am Schluss noch einmal zurückkommen möchte.
Doch zunächst möchte ich einem Verteidiger des diskutierten Gesetzes ermöglichen, die zentrale These dieses Papiers infrage zu stellen:
Behauptet wurde, das fragliche Gesetzesvorhaben dokumentiere den Zeitgeist, der tendenziell dazu neigt, die aufklärerische Trennung von äußerem Verhalten und innerer Gesinnung zugunsten letzterer einzuziehen. Der Einzelne, so die Implikation dieser These, wird dann wiederum in das Ganze des Staates eingemeindet, die Differenz zwischen ihm in seiner privaten Gesinnung, und dem Regelungsanspruch des allgemeinen Ganzen als Bedingung für Humanität wird aufgehoben oder doch zumindest schon unterlaufen.
Eben dies, so der hier angenommene Advocatus Diaboli, sei gerade nicht der Fall. Denn spricht Kant nicht in seiner Definition des Rechts auch von den von ihm betroffenen Handlungen, die nur mittelbar auf andere Personen einwirken könnten? Und ist nicht gerade die Doll ‚mit kindlichem Erscheinungsbild‘ ein solcher Mittler, der, weil er als Trainingsgerät für zukünftiges invasives Handeln gegenüber Kindern fungieren könnte, zu Recht dem hier diskutierten Gesetz verfällt?
Schließlich, so die Befürworter des §184l, dient dieses Gesetz in seinem Verbot der Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild gerade den Einzelnen in unserer Gemeinschaft, die am wehrlosesten und schützenswertesten sein dürften, nämlich den Kindern.[8]
Nun ist zunächst einmal demgegenüber zu betonen, dass dieser Rechtfertigungsversuch auf vergleichsweise schwacher Grundlage erhoben wird. Im Text des Gesetzes selbst ist nicht ohne Grund vom Potentialis die Rede: Durch die Nutzung „solcher Objekte kann der Wunsch geweckt oder verstärkt werden,“ sich an einem Kind zu vergehen. Zu beachten ist auch hier wieder die Art, in der in diesem Gesetz von der vorverurteilten Sache, der Love Doll, gesprochen wird: Von ‚solchen‘ Objekten wird gesprochen. Man meint als um Vorurteilslosigkeit bemühter Leser förmlich, den mühsam verhohlenen Ekel moralisch-ästhetischer Art heraus hören zu können, von dem die Initiatoren dieses Gesetzes gegenüber ihrer Sache getragen scheinen.
Ein Blick auf die psychischen Tatsächlichkeiten jedoch genügt, um die erfahrungsvorgängige Vorverurteilung in solchen Wendungen offensichtlich zu machen. So hält Nicola Döring in ihrem oben angeführten Aufsatz fest: „Die menschliche Gestalt reicht schon aus, um ein Artefakt in der eigenen Wahrnehmung zu anthropomorphisieren, das heißt zu vermenschlichen und ihm Gedanken und Gefühle zuzuschreiben.“[9]
Geht man von dieser Beobachtung aus, dann ist eher nicht zu erwarten, dass Doll Besitzer ihre Puppen als ‚Objekte‘ wahrnehmen. Im Gegenteil: Ein schlichter Blick auf die einschlägigen Foren, in denen Puppenfreunde sich austauschen, belehrt einen darüber, mit welch z.T. übervorsichtigen und -ängstlichen Aufmerksamkeit viele Dolls von ihren Besitzern bedacht werden. Jede Beschädigung ihrer Puppen wird akribisch registriert, mancher Puppenbesitzer dokumentiert für seine Mitleser die Reparatur seiner Doll, indem er aus der ihr zugeschriebenen Erlebnisperspektive den Fortgang der Schadensbeseitigung notiert und damit den Eindruck erweckt, die Doll habe ein eigenes Bewusstsein von sich und ihrer ‚Verarztung‘.[10] Durch eine natürlich nur versuchsweise erhobenen Projektion wird die Doll von ihrem Betreuer personalisiert.
Die Sprache des Gesetzes ist demgegenüber strikt objektbezogen und zeigt damit, dass ihr die Erfahrungsperspektive der hier thematisierten menschlichen Verhaltensweisen zutiefst fremd ist. Sie und nicht etwa die so dubios anmutenden Doll-Besitzer manifestiert Empathiefreiheit. Demgegenüber gilt es festzuhalten: Doll-Besitzer behandeln Menschen nicht wie Objekte, sondern Objekte (Sachen) wie Menschen (Personen). Das Gegenteil von dem, was das Gesetz im Allgemeinen ihnen unterstellt, ist tatsächlich der Fall. Eine weitgehende Phänomenfremdheit bezüglich der zu beurteilenden Sache kann demnach dieser Gesetzesvorlage zugewiesen werden.
Nun kann natürlich diese Empathie für Love Dolls von niemandem eingefordert werden. Man hat sie oder man hat sie eben nicht. Aber dass die Initiatoren von Gesetzen, die derart tief in die Lebenswirklichkeit vieler Menschen eingreifen, wie der zur Verabschiedung anstehende Paragraph 184l, zumindest wissen, worum es sich in dem von ihnen zu reglementierenden Lebensbereich eigentlich dreht, darf doch wohl erwartet werden. Ist diese grundsätzliche Bereitschaft, sich in auch auf den ersten Blick befremdliche Lebensrealitäten einzufühlen, nicht vorhanden, kann eine von diesem Geist der faktenfreien Empathielosigkeit getragene Kriminalpolitik nur als „erschreckend und einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung nicht angemessen“ angesehen werden.[11]
Diese selbst normative Beurteilung des Gesetzes durch die wissenschaftlichen Dienste des deutschen Bundestages geht offenbar davon aus, dass die Einzelnen in ihrem Eigensinn von jeder Strafrechtsordnung zu achten und zu respektieren sind. Sie zeigt darin die oben an Kants Rechtsbegriff herausgearbeitete Differenz von Privatgesinnungen und öffentlich dargelegtem Verhalten.
Eigentümlicherweise wird auch im Text des Gesetzes diesem Umstand Rechnung getragen, nämlich durch die o.g. Verwendung des Potentialis. Dass durch die Nutzung ‚solcher Objekte‘ der Wunsch zur Ausübung sexuell invasiven Handelns ausgelöst und verstärkt werden kann, bedeutet auch, dass er eben nicht ausgelöst werden muss. Ob ein solch eventuell latent vorhandener Wunsch ausgelöst wird, entscheidet immer noch der, der ihn hat. Er selbst ist der Autor seines Tuns und Lassens und befindet darüber, ob und in welcher Weise er in seinem empirischen Verhalten seinen Wünschen entspricht oder nicht. In diesem Zusammenhang erhält der im Gesetzestext erwähnte Begriff der Mittelbarkeit seine besondere Bedeutungskonnotation: Im Gegensatz zu dem bei Kant erwähnten Begriff der Mittelbarkeit, der sich auf das allein äußere Handeln unterschiedlicher Personen im sozialen Verbund bezieht, erhält dieser Terminus im Text des Gesetzes eine verinnerlichte Bedeutung.
Er bezieht sich allein auf die Impulsdynamik der Person, die sich an einer Love Doll zu schaffen macht. Die zentrale Intention dieser Gesetzgebung besteht mithin nicht primär darin, ein bestimmtes, sich entäußerndes Handeln einer Person im Verhältnis zu einer anderen zu sanktionieren bzw. durch Androhung von Sanktionen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Vielmehr soll eine bestimmte psychosexuelle Verfassung einer Person insgesamt als strafwürdig markiert werden.
Dies schließt aber nichts Geringeres in sich, als die Differenzierung zwischen dem ‚äußeren‘ Menschen, der sich im Verhalten zeigt – Kant spricht hier vom ‚empirischen Charakter‘ einer Person – und dem ‚inneren‘ Menschen zu unterlaufen oder besser noch, ganz aufzuheben. Der Geist, aus dem heraus dieses Gesetz entworfen worden ist, stellt daher einen eindeutigen Rückschritt gegenüber den rechtsgeschichtlichen Errungenschaften dar, die mit dem Namen von Kant exemplarisch verbunden ist.
Daher ist er auch kritisierbar: In den normativen Differenzierungen, die sich in unseren Institutionen geschichtlich eingespielt haben, zeigt sich eine komplexer werdende Erfahrung von dem, was es heißt, menschlich und als menschlich-soziales Lebewesen artgerecht zu leben. Werden diese Erfahrungen durch zeitgeistbedingte Dynamiken entdifferenziert, entsprechen sie nicht länger den normativen Standards, die sich inzwischen in unseren Lebensgemeinschaften eingespielt und also auch bewährt haben. Das Normative ist hier faktisch und das Faktische normativ. Und eben deshalb ist dieses Gesetz auch und gerade aus normativen Gründen kritisierbar.
IV.
Doch abgesehen von diesen rechtsphilosophischen Anmerkungen mag man fragen, was bzw. aus welchen Gründen denn nun genau, die durch dieses Gesetz unter Strafe gestellte psychosexuelle Verfassung so regelungsbedürftig erscheint? Aus welcher Haltung heraus ist diese Pönalisierungsforderung des Gesetzes entworfen worden?
Zwei Aspekte scheinen sich zur Antwort anzubieten: Da im Gesetzestext von einer ‚Gefahr‘ bzw. der Möglichkeit der Wunscherzeugung und -verstärkung gesprochen wird, scheint es den Gesetzesinitiatoren um die Abwehr rein hypothetisch entworfener Eventualitäten zu gehen. Nicht ein bestimmtes, bereits gezeigtes und in seiner Schädlichkeit offenbar gewordenes Verhalten ist zu sanktionieren, sondern eine rein ex hypothesi angenommene, spekulativ erwogene menschliche Verhaltensweise gilt es präventiv zu unterdrücken.
Zu Recht wird von einschlägigen Experten darauf hingewiesen, dass dem unterstellten Kausalzusammenhang zwischen dem Umgang mit einer Childlike Sex Doll und dem Wunsch, sich an einem lebenden Kind zu vergehen „nicht den Anforderungen an eine ‚evidenzbasierte Kriminalpolitik“ entspricht.[12]
Fraglich aber ist, ob diese Kritik dem Kritisierten wahrhaft entspricht. Diese Kritik wäre dann zur Gänze gerechtfertigt, wenn es dem Kritisierten darum ginge, ein von ihm zumindest als faktisch annehmbares Verhalten strafrechtlich zu sanktionieren und sich damit der Kritisierbarkeit durch eine evidenzbasierte Erfahrungswissenschaft zumindest im Prinzip zu unterwerfen.
Eben dies scheint mir aber gerade nicht der Fall zu sein. Die Haltung, aus der das fragliche Gesetz entworfen worden ist, scheint mir vielmehr die zu sein, allen nur möglichen und denkbaren Gefahrenquellen für das Auftreten von sexualisierter Gewalt gegen Kinder begegnen zu wollen, selbst wenn diese noch niemals aufgetreten sind und vermutlich auch niemals auftreten werden.
Es zeigt sich in diesem Text eine radikale Kontrafaktizität, die sich von Hause aus von jeder Ausweisung an empirisch auftretenden Verhaltenswirklichkeiten frei gemacht hat: Jeder aber auch jeder Denkbarkeit menschlichen Tuns muss vorab regelnd entgegen getreten werden, um mögliche Unsicherheiten und rechtliche Irrtümer des Gesetzgebers erst gar nicht in diesem hochsensiblen Bereich von sexualisierter Gewalt gegen Kinder auftreten zu lassen: Bloß keine Unsicherheiten zulassen, jeden denkbaren Fehler gilt es vorab als solchen zu identifizieren, auszuschalten und regelnd zu neutralisieren.
Es dürfte einleuchten, dass eine solche Erwartungshaltung die Institution des Rechts prinzipiell überfordern muss. Menschliches Leben ist, neben vielem anderem, vor allem die Ungewissheit zwischen Geburt und Tod. Keine Anstrengung von Menschen kann diese Ungewissheit des Lebens durch rechtliche oder sittliche Normen weg regulieren. Sie ist auszuhalten, auch wenn Fehler gemacht werden und Unschuldige dadurch zu Schaden kommen. Gerade weil sich ein solches unbedingte Sicherheitsbedürfnis im Gesetz strafrechtlich regelnd geltend macht, ist zu befürchten, dass es bald keinen Bereich menschlichen und sozialen Lebens mehr geben dürfte, der nicht durch eine stetig sich intensivierende Regelungswut von existentiell verunsicherten Gesetzesinitiatoren überformt und damit letztendlich deformiert werden könnte.
Denn wo soll hier noch eine Grenze gemacht werden können, wenn das Kriterium einer ‚evidenzbasierten Kriminalpolitik‘ für Gesetzgebungsinitiativen bewusst preisgegeben wird?
Der zweite Aspekt, auf den ich abschließend noch hinweisen möchte, besteht in der eigentümlichen Unterstellung, das Ausleben männlicher Sexualität an Love Dolls wäre von Hause aus von dem Wunsch nach invasiver Überwältigung und Kontrolle getragen. Denn nur, wenn man diese Prämisse dieser Gesetzgebung unterstellt, ist ihre Behauptung plausibel, die Befassung von Sexpuppen mit kindlichen Erscheinungsbild würde zu einem Verhalten veranlassen, welches das Gegenüber überwältigt und sexuell nötigt.
Oben wurde ja schon herausgearbeitet, dass gerade nicht Child Sex Dolls im Fokus des Gesetzes zu stehen scheinen. Vielmehr sind die Formulierungen so gewählt, dass ohne große semantische Verbiegungen jede Doll und damit jeder Besitzer auf eine diffuse Art und Weise verdächtig ist, sich durch sie zu gewaltorientiertem sexuellen Handeln motivieren zu lassen. Geht man nicht davon aus, dass die Initiatoren dieses Gesetzes in eine voraufklärerische Haltung über die magische Macht von Sachen über Menschen zurückgefallen sind, dann muss man vermuten, allein der Besitzer der Doll sähe sich durch den Umgang mit ihr dazu förmlich genötigt, seine je schon auf dem Sprunge zur Tat stehende Gewalt- und Überwältigungsbereitschaft zu realisieren.
Die diffuse Angst vor ungewohnten und alterativ scheinenden sexuellem Erleben scheint sich in dem Geist dieses Gesetzes mit einem allgemeinen Misstrauen gegenüber Maskulinität zu verbinden.
Dass diese Vermutung nicht so weit hergeholt ist, wie es zunächst den Anschein hat, macht Nicola Döring in ihrer Arbeit deutlich. Dort verweist sie auf Kathleen Richardson, die in ihren Arbeiten zur Roboterliebe davon ausgeht, „dass Männer ihren Frauenhass an Sexpuppen und Sexrobotern ausagieren, indem sie diese rücksichtslos misshandeln und missbrauchen.“[13]
Eben diese Einstellung scheint nun auch dem fraglichen Gesetz zugrunde zu liegen. Wie schon oben ausgeführt: Das Faktum, das eine Doll aufgrund ihrer Konfiguration mit noch viel größerer Wahrscheinlichkeit in ihrem Besitzer fürsorgende und beschützende Intentionen fördert und hervorruft, wird ja gar nicht erst zugelassen. Stattdessen geht man davon aus, dass eine Doll aufgrund ihrer Wehrlosigkeit nur eine Reaktion bei ihrem Beschützer sollizitiert: Die Gewalt in sexuell invasivem Verhalten. Diese doch gelinde gesagt erläuterungsbedürftige Prämisse tritt vor allem deshalb in den gleichsam unsichtbar machenden Nebel der Selbstverständlichkeit, weil in unserer Gesellschaft allgemein eine Tendenz vorherrscht, Maskulinität und männliche Sexualität als toxisch und damit stets rechtsfertigungsbedürftig anzusehen.
Von Männern wird im Allgemeinen erwartet, dass sie sich ein bisschen so wie Frauen verhalten, also z.B. über ihre Gefühle reden, überhaupt viel intensiver über alles Mögliche kommunizieren, stets das eigene Drama in den gerade herrschenden Mittelpunkt stellen usw. Wo von Gleichstellung und Gleichberechtigung die Rede ist, ist vor allem Frau drin.
Dass es für die Gleichberechtigung auch den anderen, zum Femininen differenten Part geben muss, wird ignoriert, ja allein die Forderung danach wird bereits als männlich-invasiv wahrgenommen.
Ein Symptom dieser gynozentrischen Orientierung des Zeitgeistes ist z.B., dass es als stark und selbstbewusst bewertet wird, wenn Frauen ihre sexuellen Bedürfnisse mit Dildos befriedigen und dies auch offen leben. Die Werbung von einschlägigen Online-Händlern wie z.B. Eis.de dürfte dem einen oder anderen bekannt sein. Der Dildo ist eine stilisierte Nachbildung des männlichen Gliedes. Der Mann wird damit also auf sein ‚bestes Stück‘ reduziert.
Man stelle sich aber nun einmal vor, ein Doll Händler würde seine Produkte mit einer ähnlich offensiven Manier im TV bewerben und fröhliche Männer zeigen, die mit strahlenden Gesichtern um ihre Dolls herumturnen. Die Pressekonferenzen von dauerempörten Politikerinnen und Politikern, die sich stellvertretend für uns alle für dieses unsäglich sexistische Verhalten schämen, kann sich jeder lebhaft vorstellen.
Was Frauen im Bereich ihrer Sexualität erlaubt ist, ist Männern verboten. Der Begriff ‚Männerphantasie‘ allein schon ist abwertend und als stets im Köcher befindlicher Pfeil von (weiblichen) Beschämungstaktiken im Anschlag. Auch hier entspricht das Gesetz dem Zeitgeist: Der vor allem männliche Doll Freund ist irgendwie subversiv, man kann ihm nicht ganz trauen, schließlich ist es hier ein Mann, der seine sexuellen Neigungen folgt. Besser, man schützt die Allgemeinheit vor ihm, indem man ihm seine Doll entzieht. Die Bombe könnte ja sonst jederzeit hochgehen.
Eine besonders ironische Note aber bekommt diese Bedeutungsdimension des Gesetzes, wenn man nochmals auf die von Döring notierte Faktenlage schaut. Der Doll-Freund zeigt in seiner liebevoll zelebrierten Fürsorge für die ihm anvertraute Puppe „oft eher sanfte Züge“, die „in unserer Kultur stark feminin kodiert“ sind. Indem er sich intensiv „mit Damenmode, Make-up und Langhaarfrisuren“ auseinandersetzt, lebt er „eigene feminine Anteile mit und an seiner Puppe“ aus.[14] Ausgehend von dieser Beobachtung kann man die vom Gesetz unterstellte Prämisse gegen es selbst geltend machen. Behauptet wird in ihm, die Sex Puppe mit kindlichem Erscheinungsbild sei eine Art Trainingsgerät für seine stets latent bereite Überwältigungsphantasie. Der Wunsch nach solch einem sexuell invasiven Verhalten ‚könnte‘ geweckt werden.
Ist es nicht viel näherliegend, weil der von Döring notierten psychischen Faktenlage entsprechend, dass die Doll eben die emotionalen und affektiven Anteile in Männern weckt und fördert, die in der herrschenden maskulinen Identität unterdrückt werden und also verkümmern müssen? Ist es nicht gerade aus der Intention des gynozentrischen Zeitgeistes zu fordern, dass sich immer mehr Männer immer öfter mit Dolls beschäftigen, damit sie so durch diese Trainingsgeräte im Sinne unseres Gynozentrismus, feminisiert und umerzogen werden? Muss es also daher nicht vielmehr ein Gesetz geben, das den Besitz von Dolls geradezu vorschreibt und das dort, wo sich der fragliche Mann keine leisten kann, ihm auf Staatskosten eine Doll gestellt wird?
Zugegebenermaßen ist diese letzte Überlegung nicht ohne Ironie zu verstehen. Aber in ihr zeigt sich die ganze Absurdität und Selbstwidersprüchlichkeit der bisher zum Glück noch nicht umgesetzten Gesetzesinitiative. Es ist zu hoffen, dass sie dahin verbannt wird, wohin sie gehört: In den Papierkorb für ungeeignete Ideen.
Quellenangaben:
[1]Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden Akademie Textausgabe VIII S.366.
[2]Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten Akademie Textausgabe VI S. 231.
[3]Immanuel Kant, a.a.O. S. 230.
[4]G.W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes Meiner Hamburg 1980 S.320.
[5]Albert Camus, Der Mensch in der Revolte, Rowohlt Hamburg 1984 S.169.
[6]Vgl. Sigmund Freud, Totem und Tabu Fischer Frankfurt am Main 1982.
[7]Vgl. Nicola Döhring, Sexpuppen und Sexroboter aus psychologischer und therapeutischer Sicht; In: Oliver Bendel (Hrsg.) Maschinenliebe, Springer Gabler
[8]Diese Auffassung wird ironischerweise nicht zuletzt auch von den Administratoren einschlägiger Dollforen vertreten. Die Hauptverantwortliche dort versteigt sich gar zu der weit über jede Reglementierung gesetzlicher Art hinausgehenden Forderung, dass jeder, der sich zu Kindern hingezogen fühlt, in Sicherheitsverwahrung genommen werden sollte, wobei sie offensichtlich den Unterschied zwischen pädophiler Neigung und päderastischem Verhalten ignoriert. Dass eine solche Forderung jedweder in unserem Land praktizierten Rechtsstaatlichkeit widerspricht, dürfte offensichtlich sein. Sie zeigt aber in wünschenswerter Deutlichkeit, welche Dynamiken psychischer Art in der heutigen zeitgeistgetriebenen Debatte um solche Gesetzgebungsmaßnahmen eine Rolle spielen, wenn nicht sogar den Ton angeben.
[9]Vgl. Döring a.a.O. S. 288.
[10]Als Beleg sei auf die Fotoserie des Foristen Beyond Range hingewiesen, der im ‚Puppengeflüster‘ die Reparatur seiner Doll durch einen Mitforisten dokumentiert hat.
[11]Vgl. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag (WD 7 -3000 – 072/20), Die rechtliche Regulierung kinderähnlicher Sexpuppen, S. 13.
[12]Vgl. Jörg Kinzig, Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, Universität Tübingen Juristische Fakultät 2020 S.19.
[13]Vgl. Döring a.a.O. S. 294.
[14]Vgl. Döring a.a.O. S. 289.